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Wyden - geliebtes Schwarzenburgerland

1985 - 1992 / 1994 - 1998 / 2000 - 2004

Auf der grünen Krete zwischen Wegweiser und dem Haus im Vordergrund:  Schulhaus Wyden.

1984, nach einem langen Sommer auf dem Berner Märit als Lederwarenverkäufer, habe ich am Ende der Saison keine Ahnung, wie es weiter gehen soll.

Die Geschichte, wie ich dann trotzdem nach Wyden komme, wird vielleicht irgendwann – wenn ich pensioniert bin – ein Comic abgeben.

Nun, im April 1985 habe ich den Weg ans Ende der Welt, wie es mir zu der Zeit vorkommt, gefunden… in Wyden. Naja, nicht auf Anhieb. Auf dem Weg zum Vorstellungsgespräch, drehe ich im Wydengraben wieder um, weil ich denke, ne, so abgelegen kann das ja wohl nicht sein. Es gibt noch kein Internet und kein Google Maps. Trotzdem finde ich dann im zweiten Anlauf das Schulhäuschen und ich startete als Junglehrer mit sechs Schülern und Schülerinnen. Ich bin Lehrer, Schulleiter Bewohner des Schulhauses, Sekretär der Schulkommission, Lehrervertreter der Zentralschulkommission – das volle Programm… für jemand, der bis dahin nichts von alledem gemacht hat. Aber ich bin voller Entdeckerdrang und sage mir, wenn’s nicht geht, kannst du ja immer wieder gehen und weiterziehen.

Als ich kurze Zeit später Regula, der Mutter meiner Kinder über den Weg laufe, gewinnt meine Geschichte dann so richtig Schwung. Ich bin angetreten, das Leben zu entdecken und einzutauchen darin. Die folgenden Jahre werden mir diesen Wunsch erfüllen. Die Art, wie ich mich Kopf voran ins Leben stürze, erinnert stark an Siddharta von Hermann Hesse. Hesse ist auf jeden Fall prägend und wir taufen unser ältestes Kind Demian.

Wyden März 87 24

Diese Jahren sind geprägt von Ausprobieren und Entdecken, wie ich mein Leben und vor allem auch «meine Schule» umsetzen will. Auf der Suche nach neuen Ideen und diesem anderen Lebensgefühl begegne ich revolutionären Geistern wie Jürgen Reichen und bin völlig inspiriert und berührt von seinem Denken und Wesen. Dass der Erziehungsdirektor von Zürich, Alfred Gilgen, ihm die Unterrichtsbefugnis entzogen hat, sein Lehrgang aber weiterhin verwendet werden darf, erhebt Jürgen Reichen für mich auf Idol-Niveau. Es sind gerade solche Leute wie dieser Alfred Gilgen, die ein Lebensgefühl vertreten, gegen das ich vehement angetreten bin.

Andererseits – zu wissen, was man nicht will und mag, weil als lebensfeindlich empfunden, heisst noch lange nicht zu wissen, was denn anstelle davon zu tun ist. Das gilt im privaten aber auch im beruflichen Bereich. Dass ich die autoritäre Erziehung, die ich geniessen durfte, nicht an meine Kinder weitergeben will, das weiss ich, aber ich habe als junger Vater und Lehrer echt keine Ahnung, was denn die Alternative ist. Try and error ist daher meine Strategie. Das ist manchmal von Erfolg gekrönt und geht manchmal echt in die Hose. So bin ich ein Kind meiner Generation mit dem entsprechenden Lebensgefühl. Es ist sicher nicht ganz so clean, wie im Song «Babyboomsuperstar» von Demians Band Jeans for Jesus. Aber ja, Irrungen und Wirrungen allemal.

Warum ich von 1985 bis 2004 immer wieder nach Wyden gekommen bin, magst du fragen? Da sind einerseits die Landschaft, das Ländliche und die spezielle Situation, wirklich selbstständig entscheiden zu können, wie ich meinen Unterricht gestalte, weil ich ja anfänglich wirklich der einzige Lehrer bin. Weitere Punkte findest du unter «Vreneli & Spycher Rock».

1985 ist das Schwarzenburgerland noch fest in Hand staatstragender Parteien und gewichtigen Leuten. Was gut und richtig ist, scheint allgemein klar zu sein, zumindest vordergründig. Andererseits entdecke ich schnell die alternative Gemeinschaft, die Coolen, die sich verstreut in freigewordenen Bauernhäusern und Stöcklis niedergelassen haben und – anfänglich etwas verborgen – einen anderen Lebensstil leben wollen.

Wie die Bilder zeigen, ist die Schule in dieser Zeit deutlich mehr als nur eine Bildungseinrichtung. Sie ist vielleicht nebst der Käserei- und Wassergenossenschaft DER lokale Ort für Zusammenkünfte. Das gefällt mir einerseits mega, fühle mich wichtig und ernst genommen, zugleich ist’s auch ein extremer Stress, weil ich ja gewissermassen die Schule bin und für alles zuständig. 

Am meisten stresst mich die Weihnachtsaufführung. Zu der Zeit habe ich eine tief empfundene Mühe mit einem Christentum, das über Jahrhunderte hinweg die Herrschenden legitimiert und viele unterdrückt hat und mit dem Schwert in der Hand befohlen hat, was Menschen zu glauben haben. So fällt es mir unendlich schwer, unbeschwert und frohen Herzens Weihnachten – das Fest der Liebe – zu zelebrieren. Zu verlogen ist das alles, wie ich empfinde. Wie viele meiner Generation habe ich das Verlangen, aufzubegehren gegen Traditionen und Autoritäten.

Dabei haben mich Autoritäten nicht automatisch getriggert. Die entscheidende Frage ist, sind es natürliche Autoritäten oder nicht. Mit «natürliche Autoritäten» meine ich Menschen, denen ich abkaufe, dass sie mir in gewissen Bereichen voraus sind, authentisch und ich etwas lernen kann von ihnen. In der Schule bist du die ganze Zeit mit Fragen der Autorität konfrontiert und da das Problem mit Autoritäten eines meiner Lebensprobleme jener Zeit ist, ist Lehrer unbedingt mein Ding. By the way, im Militär wurde ich ausgemustert, mit der Begründung «Autoritätsprobleme».

Wyden Demian Henã

Jetzt, Jahrzehnte später und um viele, zum Teil schmerzliche Erfahrungen reicher, sehe ich vieles aus einer anderen, entspannteren Optik heraus. Aber wie schon erwähnt, ich war angetreten das Leben auszutesten und nicht in erster Linie um mich unbeschadet aus der Affäre zu schleichen. Eine gewisse jugendliche Unbekümmertheit hilft da ungemein und Fehltritte sind vorprogrammiert.

Die Arbeit im Schulzimmer mit den kleinen Knöpfen hingegen liebe ich und ist zumeist unbeschwert und unkompliziert. Kinder sind so direkt und noch wenig zurecht sozialisiert, ein guter Spiegel für einen jungen Erwachsenen, der selber am Herausfinden ist, wer er ist.

Und, was in die Wyden-Zeit hineingehört, ist natürlich meine Familie. Mein Spruch dazu: Das einzige, woran ich beteiltigt war, das Hand und Füsse hat. 

Vreneli & Spycherrock

Ein kleiner «Vreneli»-Boom

In ihrer mittlerweile siebenten Produktion bringt die Freilichtbühne Schwarzenburg eine legendäre Vorfahrin ihrer Nachbargemeinde auf die Bühne: Ds Vreneli ab em Guggisbärg. Otto von Greyerz hat in seiner Volksliedsammlung «Im Röseligarte» (1908) darauf hingewiesen, das Lied vom Vreneli, das «alte Guggisberger Lied», stamme aus dem frühen 18. Jahrhundert und ihm liege «eine wirkliche Begebenheit zugrunde». In seinem letzten Roman, «Gastlosen» (1986), ist Walther Kauer der unglücklichen Liebesgeschichte vom Vreneli und «Simes Hansjoggeli ännet em Bärg» nachgegangen. Zwar ist, wie er im Roman festhält, «geschichtlich eben zu wenig überliefert, schriftlich schon gar nichts».

Deshalb hat er historische Nachforschungen betrieben und seine fiktive Vreneli-Geschichte in die soziale und politische Situation des Schwarzenburgerlandes im späten 18. Jahrhundert eingeschrieben. Diese Geschichte hat er dann für Radio DRS auch zu einem Hörspiel verarbeitet, das Mitte Juni 1987 – kurz nach seinem Unfalltod an 27. April – ausgestrahlt worden ist. Nun hat der Theaterregisseur Markus Keller aus beiden Vorlagen eine Theaterfassung für die Freilichtbühne Schwarzenburg montiert.

Kauers Geschichte: Zur Zeit des Ancine régime ist Vrenelis Mutter Anna als junge Frau nach einer Vergewaltigung durch den Landvogt schwanger geworden. Das Kind, den «Bastard», hat sie später, auf der Flucht mit den verfolgten Fahrenden, zusammen mit ihrem Geliebten Ruedi, umgebracht. Ihr gemeinsames Kind, das Vreneli, wächst, nachdem Ruedi erschossen und Anna in den Selbstmord getrieben worden ist, als angenommenes Kind in der Ruchmühle auf. Seine Liebesbeziehung zum wohlhabenden Bauernsohn Hansjoggeli zerbricht, als durch missgünstige Mäuler bekannt wird, Vreneli sei die Tochter einer Kinds- und Selbstmörderin. Der verzweifelte Hansjoggeli fällt – im Dienst des untergehenden Ancien régime – nach einer sinnlosen Winkelried-Tat in der Schlacht von Neuenegg (1798). Und, so schliesst Kauers Roman, «das Vreneli hat keiner jemals mehr gesehen. Kein Mensch weiss, ob es in unbekannte Ferne geflohen ist oder ob es am Ende den gleichen Weg gewählt hat wie seine Mutter Anna: in die Tiefe des Mühlenteiches.»

Die diesjährige Produktion der Freilichtbühne Schwarzenburg scheint begünstigt durch einen sich abzeichnenden «Vreneli-Boom». Die Interpretation des alten Guggisberg-Lieds von Stephan Eicher klettert zur Zeit die Hitparaden hinauf, zur Schwarzenburger Premiere will der Fischer Verlag in Münsingen Kauers «Gastlosen» als Taschenbuch neu herausbringen, und auf Herbst plant auch das Kellertheater 1230 in der Berner Altstadt, eine Bühnenfassung des Vreneli-Stoffes zur Aufführung zu bringen.

Vreneli & Spycher Rock

Wie oben schon angedeutet, hat uns am Ende des 20. Jahrhunderts eine grosse Aufbruch- und Umbruchstimmung erfasst. Sind es anfänglich Autoritäten wie Kirche und Staat gegen die wir rebellieren, flogen uns, zumindest in meinem Umfeld, bald die eigenen alten Muster und Egotrips um die Ohren. 

Zuvor spiele ich aber mit dem Freilichttheater Schwarzenburg ein paar Produktionen mit, was dann mit dem Vreneli-Stück von Walter Kauer 1989 seinen Abschluss findet. Was vorher das Theater ist, ist nun die Band «Spycher Rock«.

Die Glasi, das alternative Kulturzentrum Schwarzenburg, war dann der Höhepunkt des Ganzen. Als diese dann abbrannte, brannte für viele auch ein Lebensgefühl und eine Epoche ab.

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